Gudrun Fischer, Dezember 2001


Eine Frau der afghanischen Frauenorganisation RAWA besucht Mitte Dezember Bremen.

IDie Afghanin Shala Asad sitzt in westlicher Kleidung auf dem Podium im DGB-Haus, die Burka liegt neben ihr. In Bremen braucht sie keinen Schleier. Dafür braucht sie einen falschen Namen, denn bis nach Europa kann die Verfolgung durch fundamentalistische Gruppen reichen. Die Mitglieder der Frauenorganisation RAWA müssen vorsichtig sein ­ nicht nur in Afghanistan. Einige RAWA-Frauen, unter anderem die Mitbegründerin Meena, wurden schon ermordet. Also reist Shala Asad mit einem Pseudonym durch Europa. Die Veranstaltungen mit ihr oder mit ihrer Kollegin Safora Walid werden zur Sicherheit im Internet nicht bekannt gegeben, die Werbung für die Vorträge erscheint kurzfristig und nur auf lokaler Ebene. Fotos und Filme sind während der Vorträge nicht erlaubt. Wahrscheinlich referiert Shala heute unter einem anderen Namen.

Shala berichtet, dass RAWA wegen Unterdrückung und Krieg zur Zeit vor allem in pakistanischen Flüchtlingslagern arbeitet. Dort betreibt RAWA ihre Schulen, Werkstätten und Gesundheitseinrichtungen. Doch auch dort wird RAWA verfolgt: von pakistanischen Polizisten. Daher laufen die Schulen in Pakistan nicht unter dem Namen RAWA. In Afghanistan, aus dem Shala selbst als Kind mit der Mutter und Geschwistern nach Pakistan flüchtete, war es in den letzten fünf Jahren unmöglich, öffentlich Schulen für Mädchen zu betreiben. (Erst in den letzten Wochen wurden in Kabul Schulen für Mädchen eröffnet.) Noch unterrichten die RAWA-Lehrerinnen kleine Mädchengruppen heimlich in Privathäusern, wie in den Jahren vor dem Krieg der USA gegen Afghanistan.

Shala ging einst selbst in eine RAWA-Schule. Sie hätte gerne Lehramt studiert, das aber konnte RAWA ihr nicht mehr finanzieren. So ist sie nun Mitarbeiterin bei RAWA und wird als Lehrerin der ersten beiden Grundschulklassen in Flüchtlingscamps eingesetzt. Auch sie hat einst mit ihrer Familie in pakistanischen Flüchtlingskamps gelebt. Drei Millionen Menschen aus Afghanistan leben immer noch in Lagern in Pakistan.

Zur Zeit fährt Shala aber als Repräsentantin von RAWA durch Europa. Vielleicht berichtet sie gerade in Italien von RAWA? Demnächst steht auch Brasilien auf dem Programm, erzählt sie in Bremen zurückhaltend. Shala spricht gut englisch und ist versiert im Umgang mit den Medien. Sie verbringt bei ihren Gastgeberinnen nach den Vorträgen viel Zeit vor dem Computer und verschickt e-mails und Informationen. Die professionelle home-page von RAWA hat die Gruppe international noch bekannter gemacht (www.rawa.org). In der Presse groß herausgekommen war die Organisation 1999, nachdem RAWA-Frauen einen Video aus einem Stadion in Kabul schmuggelten, auf dem sie gerade heimlich die öffentliche Hinrichtung einer Frau gefilmt hatten.

In pakistanischen Flüchtlingslagern unterrichtete RAWA auch Jungs. Denn den Frauen ist wichtig, Jungs zu zeigen, dass Mädchen die gleichen Rechte haben wie sie. "Wir bezeichnen uns als feministisch, auch wenn wir wissen, dass es viele Arten von Feminismus gibt. Es gibt ja auch islamische Feministinnen." RAWA jedoch vertritt einen säkularen demokratischen Feminismus. "Wir wollen gleiche Rechte. Wir denken, wir brauchen die Hilfe von Männern. Aber politisch wollen wir unabhängig sein und nicht von Männern dominiert werden. Deswegen arbeiten wir politisch getrennt von Männern." Shala betont, dass afghanische Frauen heute oft nicht wissen, was ihre Rechte sind. "Die junge Generation hat das in Afghanistan nicht gelernt."

RAWA erhält inzwischen überall im Ausland Unterstützung. In Bremen kamen bei der Veranstaltung, die von zweihundert Frauen besucht wurde, über 2000 DM an Spenden zusammen. RAWA-Frauen hielten Vorträge in zahlreichen deutschen Städten und RAWA bekam im November 2001 den Mona Lisa Fernsehpreis. In Afghanistan selbst hat diese Frauenorganisation kaum Ansehen und Macht. Shala vermutet, dass RAWA weder an der Regierungsbildung, noch am Aufbau, noch an der Nahrungsmittelverteilung beteiligt wird. Trotzdem versuchen die Frauen, Einfluss zu nehmen. Sie appellieren an die afghanische Bevölkerung, weder Fundamentalisten, noch die alten Regierungsmitglieder, noch die ehemaligen Putschisten zu wählen. RAWA selbst will nicht an die Macht. Sie will nur ihr Ziele verwirklicht sehen: eine säkulare und demokratische Regierung in Afghanistan und gleiche Rechte für Frauen. Aber das wird ein sehr langer Weg werden. Shala bemerkt nachdenklich, dass das politische Bewusstsein der Bevölkerung zwar nicht "falsch" sei. Aber natürlich sei es geprägt von der Frauendiskriminierung und der Brutalität der letzten zweiundzwanzig Jahre."Die Menschen sind geprägt von Gewalt, Elend, Krieg und Bürgerkrieg. Daher trauen sich viele afghanische Frauen bis heute nicht, ihre Schleier abzulegen", bedauert Shala. Die chaotische Situation außerhalb Kabuls, wo die US-Bombardierungen fortgesetzt werden, wo Plünderungen, Gewaltanwendung durch Warlords und Entführungen die Menschen ängstigen, gibt Shala Recht.

RAWA misstraut der Nordallianz, die schon einmal vor fünf Jahren (vor den Taliban) grausam in Kabul regierte. Die neuen Bilder im Fernsehen, die ein paar Frauen in Kabul zeigten, wie sie den Schleier abgelegten oder Männer, wie sie sich den Bart rasierten, sind Ausnahmen. Die Angst herrscht fort. Auch die Menschen aus den pakistanischen und iranischen Flüchtlingslagern haben Angst. Sie trauen sich nicht nach Afghanistan zurück, weil sie Schlimmstes von der Nordallianz befürchten. Die Übergangsregierung, kritisiert RAWA, sei von der Nordallianz dominiert und wecke kein Vertrauen in die Zukunft. Die Milizen werden nicht entwaffnet, im Gegenteil, sie sind im Moment durch die Kollaboration mit den USA mit Waffen ausgerüstet. Auch die zwei Frauen, die heute in der Übergangsregierung zwei Ministerinnenposten innehaben, genießen kein Ansehen unter den Frauen. Sie seien verstrickt in ihre fundamentalistischen Parteien. Frauenrechte fordern sie wenig.


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