Said It, August 2000 - Vol.2-#5

Frauen und die Zukunft von Afghanistan

Adriene Sere

Die Revolutionaere Gemeinschaft der Frauen von Afghanistan ist eine gewaltlose Organisation an der Front der internationalen Kampagne fuer die Rechte der Frauen und Demokratie in Afghanistan, RAWA arbeitet hauptsaechlich im Untergrund als ein Netzwerk, das aus vielen Mitgliedern besteht, die Haelfte der Mitglieder sind in Afghanistan, die andere Haelfte sind Fluechtlinge in Pakistan.

RAWA stelllt sich den fundamentalistischen Kraeften in Afghanistan aktiv entgegen. Gleichzeitig bieten wir Frauen in Afghanistan die allerwichtigsten Dienste fuer Gesundheitswesen, Erziehungs (Bildungs)-wesen - und Einkommensmoeglichkeiten an. Unermuedlich haben wir, RAWA, uns gegen die Taliban ausgesprochen, die momentan 90% Afghanistans unter Kontrolle haben, genauso wie wir gegen die moslemischen fundamentalistischen Gruppen kaempfen, die die Opposition zu den Taliban bilden.

Die Art und das Ausmass der Verbrechen, die durch Fundamentalisten gegen die afghanischen Frauen veruebt werden, ist in der modernen Geschichte beispiellos“, erklaeren sie. Durch ihre Offenheit und ihre Aktivitaeten in der Bildung, Erziehung und finanzieller Unterstuetzung von Frauen haben sich RAWA-Mitglieder auf grosse Risiken eingelassen. Zwei RAWA-Mitglieder, Sajeda Hayat und Sehar Saba, haben waehrend der letzten vier Monate die USA bereist und die Oeffentlichkeit ueber die politischen und sozialen Umstaende in Afghanistan informiert. Sie haben eine Stunde ihres ausgefuellten Plans geopfert, um dieses Interview mit Said It zu geben.


Said it: Ich moechte Euch zu eurer USA-Reise fragen. Ihr habt seit April die USA bereist und Reden gehalten, angefangen bei der Feministen-Expo 2000. Wie haben Euch die Leute aufgenommen?

Sehar: Wir bekamen wundervolle Reaktionen von den Leuten hier, von Studenten, von den Maennern, den Frauen und sogar von den Kindern. Sie interessieren sich alle sehr fuer die Lage in Afghanistan und haben wirklich den Wunsch zu helfen. Leider wissen die Leute , die wir hier bisher getroffen haben, nicht viel ueber Afghanistan. Wenn wir ueber die ganz reale und schmerzvolle Tragoedie von Afghanistan sprechen, dass die Leute sich Sorgen machen muessen, wie sie ein Stueck Brot fuer ihre Kinder und sich selber finden, oder dass so viele an durchaus heilbaren Krankheiten sterben, - die sind schockiert. Sie sagen, sie koennen das nicht glauben. Aber sie wollen helfen.

Sajeda: Wir sind wirklich allen sehr dankbar, die uns unterstuetzen, unsere wundervollen Helfer aus Amerika, Iran und auch einige aus Afghanistan. Dieses erfolgreiche Prgramm hier konnten wir nur dank der Unterstuetzung dieser Leute durchfuehren. Wenn wir die nicht haetten, haetten wir ueberhaupt gar nichts organisieren koennen, weil wir hier niemanden kennen, wir wussten nicht einmal, wo wir wohnen koennten, wie man alles organisiert, und wo man anfangen soll.

Said it: Was fuer Reaktionen habt Ihr von Offiziellen und Mitgliedern der Regierung bekommen?

Sajeda: Ich finde, das war auch sehr positiv. Eines unserer Projekte hier bestand darin, einen Brief in Umlauf zu bringen, der afghanische Frauen und unsere Organisation unterstuetzt, und eine Stellungnahme ueber Afghanistan , um die Menschenrechtsverletzungen zu verdammen. Wir haben uns mit dem Kongressmitglied Lynn Woolsey (D-CA) getroffen, und sie war bereit, diesen Brief als einer unserer Sponsoren mit in Umlauf zu bringen. Wir haben 44 Unterschriften von Kongress-Repraesentanten bekommen, die unsere Organisation, unsere Arbeit und afghanische Frauen dadurch unterstuetzen, und wir bekamen auch eine Stellungnahme, die die Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan verurteilt.

Wir haben uns auch mit weiblichen und maennlichen Kongressabgeordneten getroffen, die uns helfen moechten. Wir wuenschen, wir haetten mehr Zeit, weil wir uns sicher sind, dass wir auch andere Repraesentanten treffen koennten, aber das Zeitlimit laesst uns hier keine weiteren Aktivitaeten durchfuehren.

Said it: Ich moechte die Rolle der Medien andprechen. Mir erscheint, dass die Hauptmedien in den USA die Taliban in einem ebsseren Licht darstellen wollen, besonders waehrend der letzen Monate.

Die New York Times hat einen Leitartikel veroeffentlicht, in dem berichtet wird, wie die Taliban mittlerweile Untergrund-Schulen fuer Maedchen tolerieren. Letzten Monat hat das TIME - Magazin einen Leitartikel ueber Afghanistan gebracht, und da waren Interviews mit Taliban zu lesen. Die Interviews waren ziemlich unkritisch, und die Aussagen der Taliban wurden fast nicht hinterfragt. Es scheint, dass die Hauptmedien versuchen, die Oeffentlichkeit glauben zu machen dass die Taliban akzeptabler werden koennten. Was sind eure Eindruecke von den amerikanischen Medien, und stimmt es, dass sich die Taliban zum besseren aendern koennten?

Sehar: Die negative Rolle der Medien waehrend der vergangenen 20 Jahre wird unser Volk, insbesondere unsere Frauen, niemals vergessen. Das waren nicht nur die amerikanischen Medien, sondern die Medien weltweit. Sie erheben diese Kriminellen, diese Fundamentalisten, die unsere Leute ermordet haben, zu Fuehrern, zu Leitpersonen. Die Fuehrer der fundamentalistischen Parteien wurden durch die Medien zu Fuehrern gemacht, ganz besonders durch pakistanische und amerikanische Medien.

Sie beschreiben niemals die Situation, in der das Volk wirklich lebt. Sie versuchen staendig, etwas zugunsten der fundamentalistischen Parteien zu tun. Wenn die hoeren, dass sich bei den Taliban ein ganz kleines bisschen etwas veraendert hat, dann machen die a eine grosse Sache daraus und berichten es in aller Welt.

Die Medien erwaehnen nie die demokratischen Kraefte von Afghanistan. Sie haben nie ueber RAWA's Aktivitaeten berichtet. Sie reden nie ueber das Leben afghanischer Fluechtlinge und Vertriebener in Pakistan.

Die Medien koennten eine sehr wichtige Rolle fuer das afghanische Volk spielen. Jetzt haben sie angefangen, einige Artikel und Interviews (mit dieser RAWA-Tour) zu veroeffentlichen, aber wir koennen wirklich nicht behaupten, dass die Medien das wirkliche Elend des afghanischen Volkes beschreiben, insbesondere nicht das Elend der Frauen. Meistenteils wollen sie nur solche Artikel publizieren, in denen eine winzigkleine Veraenderung, die die Taliban gemacht haben, beschrieben wird, oder sie konzentrieren sich auf andere fundamentalistische Fuehrer wie (Ahmed Shah) Massood.

Wir haben gerade eine Fernsehsendung gesehen, die liess Massood, der der Fuehrer der Northern Alliance ist, wie einen Helden erscheinen.

Said it: Warum verhalten sich die Medien so? Warum versuchen die Medien die pro-demokratischen Bewegungen zu verhuellen, und portraitieren sattt dessen Fundamentalisten als "Helden", oder, im Falle der Taliban, spielen das Grauen herunter?

Sajeda: Ich glaube, die Medien sind nicht von den Regierungen unabhaengig. Was immer die Interessen der Regierungen sind, die Medien werden das widerspiegeln. Diese Laender haben Interessen in Afghanistan. Frankreich ist beispielsweise eines derjenigen Laender, die Masood unterstuetzen. In Frankreich wird Massood als ein Held gefeiert. Die Leute in Frankreich denken, er ist ein sehr demokratisch denkender Mensch, und dass er der einzige ist, der nach den Taliban das Land zu regieren imstande ist --- und das denken sie wegen der Medien.

Said it: Und er ist aber doch nicht viel besser als die Taliban.

Sajeda: Nein. Er ist nicht besser als die Taliban.

Leute hier fragen: "Was denkst du ueber die Rolle der USA in Afghanistan?" Und wir antworten, dass, die USA nicht mehr direkt involviert sind. Es gibt keinen Beweis dafuer, dass die USA die Taliban mit Waffen oder Geld versorgen. Aber indirekt, durch diese Medien, durch die Art, in der sie ueber die Taliban berichten, dass die Taliban reformiert werden koennten, oder dadurch, dass sie nicht an die Moeglichkeit glauben, die Fundametalisten zu besiegen, auf diese Weise unterstuetzen sie die Taliban indirekt, und auch die Fundamentalisten. Weil sie ihre eigenen Interessen am Herzen haben.

Es gibt einige Autoren, diesehr unabhaengig erscheinen. Einige Artikel in der Los Angeles Times waren wirklich gut, sie haben die Situation in Afghanistan sehr gut beschrieben. Einer dieser Artikel analysierte die Rolle der USA und der Vereinten Nationen, und zeigte auf, wie diese in vergangenen Jahren involviert waren, weil sie ihre eigenen Interessen am Herzen haben, und wie sie nun diesen Laendern den Ruecken zugekehrt haben.

Said it: Lasst uns ueber die Geschichte der USA-Unterstuetzung fuer die Taliban sprechen. Die USA haben waehrend der Besetzung Afghanistans durch die Sovietunion die fundamentalistischen Kraefte unterstuetzt. Stimmt das?

Sehar: Ja.. Eine der Gruende, warum die fundamentalistischen Parteien so maechtig geworden sind, einer der Gruende warum sie ueberhaupt Parteien und Fuehrer wurden, war insbesondere wegen der Rolle der USA. Waherend der ersten Kriegstage in Afghanistan hat die amerikanische Regierung versucht, Leute zu finden, Parteien, die sie ausbilden koennten, der russischen Besetzung Widerstand zu leisten. Diese Parteien, die amerikanische Hilfe bekamen, waren vordem gaenzlich unbekannt gewesen, aber als sie nach Pakistan kamen, und Peshawar, eine grosse Stadt in Pakistan, das Zentrum all ihrer Aktivitaeten wurde, da erhielten sie hohe Summen Geldes und Waffen. Aber unser Volk, die wirklichen Freiheitskaempfer, die mit der russischen Invasion zu kaempfen hatten, die haben eigentlich gar keine Hilfe erhalten.

Said it: Also hat das afghanische Volk die fundamentalistischen Gruppen eigentlich nicht unterstuetzt, aber sie erlangten durch die finanzielle und militaerische Unterstuetzung der USA Macht, waehrend sie sich in Pakistan aufhielten?

Sehar: Ja. Und wieder wegen der Medien. Sie bekamen finanzielle, politische und militaerische Unterstuetzung von den USA, von Pakistan und von anderen Staaten. Gleichzeitig haben die Medien sie zu Helden im Kampf gegen Russland erklaert, waehrend doch die Bevoelkerung Afghanistans die wahren Freiheitskaempfer waren. Haette Amerika wirklich im Kampf gegen Russland helfen wollen, dann haette es diverse andere Parteien gegeben, die Amerika haette unterstuetzen koennen, Gruppen, die kein anderes Ziel hatten, als die Unabhaengigkeit Afghanistans zu erlangen.

Said it: Warum haben die USA und andere Laender es vorgezogen, die Fundamentalisten zu unterstuetzen, anstatt diejenigen, die die Demokratie unterstuetzen?

Sehar: Weil sie wissen, dass die demokratischen Parteien sich nicht zur Marionette dieser anderen Laender haetten machen lassen. Diese anderen Laender waeren nicht in der Lage gewesen, ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen innerhalb Afghanistans aufrecht zu erhalten. Aber diese fundamentalistischen Parteien, die haben keinerlei Art von Unabhaengigkeit. Diese fundamentalistischen Parteien wurden ausgebildet, wurden zu Fuehrern, wurden sehr wichtig und beruehmt in der ganzen Welt, und sie sind wie Marionetten in den Haenden ihrer Puppenspieler. Die haben genau das getan, was diejnigen Laender, von denen sie unterstuetzt werden, ihnen aufgetragen haben.

Said it: Aber jetzt, wo die Taliban an der Macht sind, ist die Wirtschaftslage in Afghanistan katastrophal, der wichtigste Exportartikel ist Heroin, die Menschen leiden. Kannst du mir irgendetwas darueber sagen, warum diese Laender wollen, dass ein Marionetten-Regierung Afghanistan regiert?

Sajeda: Wir glauben, dass diese Laender, wie Pakistan, Saudi Arabien, Iran, Indien, Frankreich und die USA sich einfach nur um ihre eigenen Interessen kuemmern. Das Interesse der USA liegt darin, eine Pipeline durch Afghanistan zu bauen, um Oel aus Zentralasien zu transportieren. Das ist fuer die USA und andere Staaten der preisguenstigste und einfachste Weg, um das Oel zu beziehen. Pakistan hat seine eigenen Interessen in Afghanistan. Frankreich hat ebenfalls wirtschaftliche Interessen.

Wenn wir die Einmischung dieser Laender verdammen, dann deshalb, weil sie sich nur um ihre eigenen Interessen kuemmern, es ist ihnen gleichgueltig, was dem afghanischen Volk geschieht. Tag fuer Tag wird das Land zerstoert, und die Bevoelkerung verarmt zunehmend. Heute ist Afghanistan ein Land ohne jegliche Infrastruktur. Mehr als 80 % der Bevoelkerung sind arbeitslos. Die meisten der Bueros, der Botschaften, der Schulen, der Universitaeten, die vordem arbeiteten, arbeiten nicht mehr. Es ist das afghanische Volk, das leidet, nicht diese Fundamentalisten, die vom Ausland unterstuetzt werden. Und daher verurteilen wir die Rolle der internationalen Gemeinschaft. Sie behaupten, sie seinen demokratisch, dass sie fuer die Einhaltung der Menschenrechte seien, und dass sie die Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan beendet sehen wollen. Aber das reicht nicht. Das sind nur leere Worte. Es sollte etwas geschehen. Wenn sie wirklich tatkraeftig etwas tun wollten, dann waere das einfach fuer sie.

Said it: Was fuer Massnahmen koennten sie denn ergreifen, wenn sie keine Truppen nach Afghanistan senden wollen und nicht in einen Krieg einbezogen werden wollen?

Sajeda: Zuerst einmal, um ganz einfach die Situation zu verbessern, sollte finanzielle und militaerische Hilfe fuer die kaempfenden Parteien in Afghanistan gestoppt werden. Es gibt momentan keinen Beweis, dass die USA unmittelbar die fundamentalistischen Kraefte unterstuetzt. Aber die Regierung der USA unternehmen nichts gegen diejenigen, die dies tun.

Die USA und die UN - und wir denken, dass sie fast dieselbe Rolle spielen - die wollen einfach, dass die gegnerischen Parteien anfangen zu verhandeln. Sie fordern sie auf, sich zu vereinigen, und das ist nicht die Loesung fuer Afghanistan.

Stattdessen sollte Druck auf diejenigen Laender ausgeuebt werden, die diese Fundamentalisten unterstuetzen. Pakistan, Saudi-Arabien, und die Vereinigten Arabischen Emirate unterstuetzen die Taliban direkt. Pakistanische und arabische Maenner kaempfen sogar mit den Taliban. Und ihre politischen und militaerischen Berater sind Pakistani oder Araber. Und Frankreich, Iran, Indien und Russland unterstuetzen die Northern Alliance, die Opposition der Taliban.

Wenn die militaerische und finanzielle Unterstuetzung fuer die Fundamentalisten gestoppt wuerde, koennten sie nicht mal fuer einen Tag laenger an der Macht bleiben. Das Volk unterstuetzt sie nicht.

Sehar: Die UN haben wirtschaftliche Sanktionen gegen die Taliban verhaengt. Auch gegen diejenigen Laender, die die Taliban und die uebrigen Fundamentalisten in Afghanistan unterstuetzen, sollten Sanktionen verhaengt werden. Und die USA, als Supermacht, und die UN, als eine Organisation, die fuer alle Laender verantwortlich ist, koennten Friedenstruppen nach Afghanistan entsenden. Die UN sagen, die Regierung haette sie nicht gebeten, Friedenstruppen zu entsenden, aber wir glauben, dass das nur eine Ausrede ist. In anderen Gegenden, in anderen Laendern, da hat keiner, keine Regierung, die UN oder die USA eingeladen, aber sie sind dort hingegangen und aktiv geworden. Sie sollten auf die Menschen hoeren, auf das, was das Volk in Afghanistan will.

Said it: Wuerden UN Friedenstruppen in Afghanistan eine zwangsweise Entmachtung der Taliban zur Folge haben?

Sehar: In dieser Situation sind die Leute in Afghanistan nach 20 Jahren Krieg wirklich eingeschuechtert und veraengstigt, und wir koennen nicht auf Widerstand innerhalb Afghanistans hoffen. Aber wir hoffen, dass das Volk in der Zukunft etwas tut. Also ist in dieser Situation die UN und ihre Friedenstruppe die einzige Alternative. Als erstes sollten sie die kaempfenden Fraktionen in Afghanistan entwaffnen, einschliesslich der Taliban. Und den Weg fuer eine Regierung ebnen, die es dem Volk ermoeglicht, endlich in Frieden und Sicherheit zu leben.

Said it: Du hast gesagt, du bist dafuer, die Taliban unterstuetzenden Laender mit Sanktionen zu belegen. Aber ich dachte, Du bist gegen wirtschaftliche Sanktionen gegen die Taliban, weil die Sanktionen eher die Bevoelkerung treffen, als die Taliban.

Sajeda: Wenn wir von Sanktionen sprechen, dann meinen wir diplomatische Sanktionen, nicht wirtschaftliche. Wir meinen, beendet die diplomatischen Beziehungen mit diesen Laendern, vielleicht sollten sogar ihre Botschaften geschlossen werden, um sie unter Druck zu setzen. Sie sollten gezwungen werden, ihre Unterstuetzung der Taliban zu beenden.

Said it: Wenn die USA und die UN die Fundamentalisten entwaffnen wuerden, muessten diese Gruppen durch eine andere Regierungsstruktur ersetzt werden. Aber die Infrastruktur des Landes ist bereits zerstoert. Das soziale Geflecht ist groesstenteils zerstoert. Wenn die Fundamentalisten entwaffnet werden und ein Vakuum entsteht, was wuerde dieses Vakuum ausfuellen?

Sajeda: Wir sind fuer den ehemaligen Koenig von Afghanistan (Zahir Shah). Er lebt in Rom in Italien. Er war ueber 40 Jahre lang Koenig von Afghanistan. Vor unserem Gesichtspunkt aus ist er keine erstrebenswerte Person. Aber das Volk vergleicht die heutige Situation in Afghanistan mit der Zeit, in der er Koenig war, und das Volk Afghanistans seine Grundrechte hatte. Diese Zeit war paradiesisch, vergleichen mit dem, was heutzutage passiert.

Wir glauben, dass die Rueckkehr des Koenigs an die Macht nur der erste Schritt sein koennte, sozusagen eine Zwischenstufe, waehrend das Land und seine Infrastruktur wieder aufgebaut werden. Danach koennte eine demokratische Organisation eine groessere Rolle spielen. Es gibt bereits demokratische Organisationen, und RAWA ist eine von ihnen. Aber in der momentanen Situation muessen wir sehr im Untergrund arbeiten. Und darum weiss das Volk nicht viel ueber diese Organisationen. Aber sobald die Situation verbessert ist und diese demokratischen Organisationen in Afghanistan zumindest nicht mehr die Luft anhalten muessen, sondern durchatmen koennen, und offen arbeiten, da sind wir sicher, sie werden die Zukunft Afghanistans sein.

Said it: Lass mich Dich ueber die Geschichte von RAWA fragen. Rawa war urspruenglich ein Widerstand gegen die Sovietische Besetzung, stimmt das?

Sajeda: RAWA gab es schon vorher. RAWA wurde ein Jahr vor dem coup d"etat gegruendet, das war 1978. RAWA war eine unabhaengige Organisation von Frauen, die fuer Frauenrechte kaempften. Afghanistan war eines der rueckstaendigsten Laender der Welt und eine sehr patriarchalische Gesellschaft. Frauen waren niemals gleichberechtigt. Sie wurden behandelt wie Tiere. Sie wurden oft als halbe Menschen bezeichnet.

Als die Sovietunion in Afghanistan einmarschiert ist und unser Land besetzt war, widerstand RAWA gleichzeitig der Besetzung. Wir glauben, dass wenn unser Land keinerlei Freiheit hat, dann ist es wirklich muessig, lediglich ueber Frauenrechte zu sprechen, und ueber Freiheit fuer Frauen.

Said it: Manche Menschen glauben, dass die Sovietunion, trotz ihrer Fehler, eine Menge getan hat, um Frauen Gleichheit zu bringen. War das der Fall waehrend der Besetzung Afghanistans? Zum Beispiel, vor der Uebernahme durch die Taliban waren 40 % der Aerzte in Kabul, 50% der zivilen Regierungsangestellten und 70% aller Lehrer Frauen.

Sehar: Bevor die Russen kamen, als der fruehere Koenig an der Macht war, hatten die afghanischen Frauen Rechte. Vor den Russen konnten Frauen zur Schule gehen, und sie waren sogar in der Regierung. Was Russland und die Marionetten-Regierung im Namen der Frauenrechte und des Sozialismus angerichtet haben, war ein Verbrechen! Waehrend der Besetzung wurden Tausende von Intellektuellen ermordet oder ins Gefaengnis geworfen. Sie wurden aeusserst brutal gefoltert. Und 1,5 Millionen wurden getoetet. Sechs Millionen Menschen wurden aus dem Lande vertrieben.

Sie haben versucht, uns Veraenderungen aufzuzwingen. Sie haben den Frauen gezeigt, wie sie sich westlich kleiden sollten, wie sie maennliche Freunde finden sollten, und wie sie tanzen sollten. Sie befahlen den Maennern, ihre Baerte abzurasieren, und erzaehlten ihnen, dass Frauen keine Schleier und Kopftuecher tragen sollten, aber das war ein Jahrhunderte alter Brauch. Sie haben Maenner und Frauen gezwungen, nicht mehr zu beten.

Sie haben uns die Arbeit fuer Frauenrechte sehr schwer gemacht. Wenn wir von Frauenrechten gesprochen haben, dann dachten die Leute an die Russen und das Marionetten-Regime.

Said it: Also hat die Sovietunion keine Gleichberechtigung gebracht. Sie hat lediglich versucht, die afghanische Kultur auszuloeschen und die westliche Kultur aufzuzwingen.

Sehar: Genau. Ausserdem war das Marionetten-Regime nicht unabhaengig, die hatten keine Rechte. Sie haben getan, was Russland angeordnet hat. Wie haette das Marionetten-Regime da dem Volk Rechte geben koennen? Das war unmoeglich.

Said it: Jetzt ist die RAWA-Basis in Pakistan. Aber ist Pakistan so viel besser fuer euch? Wie sicher ist es dort? Und wie schafft Ihr es, dort erfolgreich zu arbeiten?

Sajeda: Fuer unsere Arbeit ist Pakistan ebenfalls kein sicheres Land. Die meisten unserer Aktivitaeten finden im Untergrund statt. Wir muessen aus Sicherheitsgruenden oft umziehen. Und es ist unsicher, weil die Fundamentalisten in Pakistan dominieren, und wegen der Regierung, die die Fundamentalisten unterstuetzt.

Die einzigen offenen Aktivitaeten, die wir in Pakistan haben koennen, sind unsere Maersche ein- oder zweimal im Jahr, einige der Veranstaltungen, die wir machen und wir verkaufen unsere Zeitschrift, Payam-e-Zan ("Die Botschaft der Frauen"). Aber diese Aktivitaeten sind mit hohem Risiko verbunden. Zweimal wurden unsere Maersche von Fundamentalisten angegriffen. Einige der pakistanischen Polizisten haben auch unsere Mitglieder geschlagen.

Said it: Also die Polizei verweigert Euch nicht nur Schutz, sie greift Euch sogar an.

Sajeda: Ja, genau. Mehrere unserer Mitglieder und maennlichen Helfer wurden waehrend des Marsches verhaftet und fuer mehrere Tage inhaftiert. Wenn wir auf dem Markt unsere Zeitschrift verkaufen, dann moechte uns die Polizei fuer gewoehnlich stoeren. Sie wollen nicht, dass wir unsere Veroeffentlichung dort verkaufen. So ist es also sogar in Pakistan wirklich schwierig, all unsere Aktivitaeten auszufuehren.

Said it: Waehrend der vergangenen Monate haben Euch die Medien grosse Beachtung geschenkt, und Ihr habt in den USA starke Unterstuetzung fuer Eure Ziele erreicht. Wird es jetzt durch diese Erfolge noch schwieriger fuer Euch?

Sajeda: Das glauben wir schon. Wir muessen unser Sicherheitssystem sehr sorgfaeltig beachten, wenn wir wieder nach Pakistan zurueckkehren. Weil jetzt die pakistanische Regierung offensichtlich von uns erfahren haben, und davon, dass wir hier waren, und wo wir es ueberall verurteilt haben, wie sie die Taliban unterstuetzen.

Sehar: Nicht nur wir beide wuerden Probleme bekommen, sondern auch unsere anderen Mitglieder . Das kommt daher, dass fuer die Taliban Individuen unwichtig sind. Das, wofuer wir kaempfen, ist das, was sie versuchen zu toeten. Sie versuchen auf die alle moeglichen Arten, unsere Hauser und unsere Mitglieder zu finden, um uns Probleme zu machen.

Said it: Koennen die Leute hier irgendetwas tun, um zu helfen, Euch zu schuetzen, waehrend Ihr dort seid?

Sehar: Ich glaube, wenn die Leute den pakistanischen Autoritaeten Briefe schreiben wuerden, das wuerde wirklich helfen. Amnesty International hat das vor unseren Maerschen gemacht, sie haben der Regierung geschrieben, dass die Regierung fuer jegliche Probleme, die RAWA bekommen wuerde, verantwortlich sei, und dass RAWA geschuetzt werden sollte. Es hat wirklich Wirkung gezeigt. Wenn Leute aus aller Welt Briefe schreiben und die pakistanische Regierung unter Druck setzen, indem sie sie fuer unsere Sicherheit verantwortlich machen, das waere wirklich gut.

Sajeda: Einer der Gruende, warum wir in der Lage waren, Maersche zu veranstalten, besonders im letzten Jahr, war wegen solcher Briefe. Als wir zum erstenmal von den pakistanischen Behoerden Genehmigung dafuer einholen wollten, haben sie abgelehnt. Aber dann schrieben Amnesty International und andere Menschenrechts-Organisationen Briefe und baten sie, die Maersche zu genehmigen und uns zu schuetzen. Daraufhin haben sie ihre Meinung geaendert.

Said it: Was ist mit den Frauen, die in Afghanistan leben? Koennen sie den Taliban widerstehen?

Sajeda: Zuerst einmal sind alle Menschen in Afghanistan - nicht nur die Frauen, sondern auch die Maenner - so muede und ausgelaugt nach ueber zwei Jahrzehnten Krieg. Sie haben wirklich keine Hoffnung, sie koennen nicht einmal ansatzweise ihre Zukunft nachzudenken. Ich glaube, das ist das erstemal in der Geschichte Afghanistans, dass unser Volk so, so hoffnungslos und muede ist. Dieses Volk, unsere armen Leute mit ihren leeren Haenden, haben ueberhaupt nichts. Sie haben Alexander dem Grossen widerstanden, dem Britischen Empire, Russland, allen Reichen oder Supermaechten. Aber dieses Volk heute, es kann nichts gegen die Fundamentalisten unternehmen, weil die Menschen so muede sind, sie haben alles in ihrem Leben verloren, sogar die Hoffnung. Manchmal fragen Leute, warum es keinen Widerstand gegen die Taliban gibt, kein sichtbares Aufbegehren, und das ist der Grund, die Muedigkeit und die Hoffnungslosigkeit.

Es gibt aber noch einige Arten des Widerstandes. Der Grund, warum die Taliban jetzt einigen weiblichen Aerzten erlauben, in Krankenhaeusern zu arbeiten, ist der Widerstand unseres Volkes, besonders der Frauen. Und wenn die Taliban einige andere Restriktionen lockern, dann nur wegen des Widerstandes unseres Volkes.

Wir glauben dass unser Volk eines Tages gegen die Taliban aufstehen wird.

Said it: Aber Ihr braucht auch den internationalen Druck.

Sajeda: Genau, Genau.



http://www.saidit.org/archives/aug00/article1.html



Spenden sind die beste Art, Frauen in Afghanistan zu unterstuetzen. RAWA sagt, sogar $1 hilft. Spenden koennen an folgende Adresse geschickt werden:
The Afghan Women's Mission
P.O. Box 40846
Pasadena, CA 91114-7846
USA

Wenn Sie von ausserhalb der USA spenden, ist es am besten, amerikanische Dollars zu schicken. Bitte Schecks ausstellen fuer "Afghan Women's Mission".

Um Druck auf Pakistan auszuueben, damit RAWA’s Aktivitaeten zugelassen werden und RAWA-Mitglieder effektiv geschuetzt werden, schreiben Sie Briefe (bitte in einem respektvollen Ton) an:

General Pervez Musharraf
Chief Executive of Pakistan
Old State Bank Bldg.
Democracy Ave.
Islamabad, Pakistan
fax: (51) 920-3414

Um Kontakt-Informationen fuer Ihre Abgeordneten und Repraesentanten zu finden, suchen Sie die web-site http://Thomas.loc.gov/ oder besuchen Sie die Feminist Majority Foundation website at http://www.feminist.org/ die auf Aktivitaeten bezueglich dieses Themenkreises aufmerksam macht.

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