The Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA)
RAWA


 

 

EPO, September 18, 2008

Eine Afghanin erzählt: »Ich habe nichts zu verlieren«

Auch die Militärinterventionen der USA und der NATO lehnen sie ab, "weil auch die westlichen Truppen schlimme Verbrechen begangen haben".

Geschrieben von Petra Gabriel

Foto: (von links) Heike Hänsel (MdB, Die Linke), eine türkische TV-Reporterin, Zoya. Copyright epo.de/peg
(von links) Heike Hänsel (MdB, Die Linke), eine türkische TV-Reporterin, Zoya. Copyright epo.de/peg

Berlin (epo.de). - Sie ist kultiviert und redegewandt, sie ist schön. Wäre sie in einemeuropäischen Land und nicht in Afghanistan geboren, hätte sie wahrscheinlich eine Familie, einen Beruf, würde gerade Karriere machen, mit Freundinnen lachen oder ihr Baby pampern. Sie nennt sich Zoya. Aber sie heißt nicht so. Sie posiert auch nicht lächelnd vor Kameras, obwohl sie ein Buch über ihr Schicksal geschrieben hat. Sie dreht ihnen den Rücken zu, denn was sie tut, könnte sie das Leben kosten. Zoya erzählt grauenvolle Geschichten von alltäglicher Gewalt. Von gesteinigten, vergewaltigten Frauen, von Verhungernden und Ermordeten. Sie ist Mitglied von RAWA, einer afghanischen Untergrundorganisation für Frauen (The Revolutionary Association of the Women of Afghanistan). 

Auf Einladung der Linksfraktion und Heike Hänsel (MdB, entwicklungspolitische Sprecherin der Linken) sowie Vertretern der Friedensbewegung wirbt Zoya derzeit in Deutschland um Unterstützung für den friedlichen Kampf der Frauen von Afghanistan. Für Heike Hänsel ist Zoya eine "authentische Stimme". Sie gehört zu den "fünf, sechs Frauen", die - jeweils auf eine Einladung hin - für RAWA ins Ausland reisen. Nächste Station für Zoya ist Italien.

Zum Pressebrunch am Mittwoch morgen in Berlin sind nur wenige Hauptstadtjournalisten erschienen. "Stellen Sie Fragen oder soll ich erzählen?", fragt Zoya in fließendem Englisch. "Erst mal erzählen", antwortet Heike Hänsel. Da beginnt die junge Frau zu berichten, trotz Reisemüdigkeit voll konzentriert, ihr Gesicht wird lebhaft. Sie sagt Sätze wie: "Wenn es den USA und der NATO ernst damit ist, den Terrorismus zu bekämpfen, warum arbeiten sie dann mit den Terroristen in meinem Land zusammen?"

Sie meint die Nordallianz, die Warlords, die Drogenbarone, die Fundamentalisten und bezeichnet Präsident Karsai als deren Geisel. "Warum werden dieselben Fehler immer wieder gemacht? Warum sitzen Verbrecher und Fundamentalisten in der Regierung und werden von Regierungsstellen der USA und der NATO-Länder auch noch offiziell unterstützt?" Zu dieser Riege zählt für Heike Hänsel auch Haji Mohammad Mohaqeq, nächste Woche Gast im BMZ (Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Sie hat deshalb einen Boykott des Treffens angekündigt, "da ich es für absolut inakzeptabel halte, daß ausgerechnet das BMZ so eine umstrittene Person einlädt und dazu noch als 'strategisch wichtigen Gesprächspartner' bezeichnet". "Warum", fragt Zoya, "bekommen die demokratischen Organisationen in Afghanistan, die sich friedlich für eine säkularisierte Gesellschaft, für Redefreiheit einsetzen und gegen den Fundamentalismus antreten, keine solche Unterstützung?"  

Zoya hebt das Kinn, sie kämpft. Grundvoraussetzung dafür, dass sich in ihrer Heimat die Waage der Kräfte in Richtung von mehr Demokratie senkt, ist ihrer Überzeugung nach die Abschaffung des Fundamentalismus in jeglicher Form. Und dass nicht noch mehr Waffen ins Land kommen, sondern die Entwaffnung endlich vorangetrieben wird. Denn: "Wie lange sollen die fremden Truppen denn noch in unserem Land bleiben? Fünf Jahre, zehn Jahre, für immer? Dann sind sie Besatzer." Es müsse endlich ein Demokratisierungsprozess in Gang kommen, der diesen Namen auch verdiene.

BEGNADIGTE VERGEWALTIGER

Zoya berichtet von einer Zwölfjährigen, die von einer Gruppe junger Männer vergewaltigt worden ist. Einer davon war der Sohn eines Mannes mit Regierungsverantwortung. Die Männer wurden kurz darauf begnadigt. Sie erzählt von jenem neuen Gesetz, das Regierungsvertretern Immunität bezüglich der Verbrechen zusichert, die seit 1992 begangen worden sind. Sie berichtet von immer mehr Frauen, die sich umbringen, weil es keinen Schutz gegen Gewalt gebe, keine Stelle, bei der sie Gerechtigkeit fordern könnten.

RAWA wurde 1977, ein Jahr vor Zoyas Geburt, von Meena Keshwar Kamal gegründet und von Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international ausgezeichnet. Seit 30 Jahren  dokumentieren die Frauen Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land. Die Organisation beschreibt ihre Ziele zusammengefasst so: Einsatz für Frauenrechte und säkulare Demokratie, die Förderung von sozialer und politischer Bewusstseinsbildung. RAWA betreibt Schulen, Flüchtlingslager, Krankenhäuser und Waisenheime. Die Frauen protestierten gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen 1979, dann gegen das von den Sowjets eingesetzte Marionettenregime, später gegen die Mudschaheddin und die Taliban.

NICHTS ZU VERLIEREN

Auch die Militärinterventionen der USA und der NATO lehnen sie ab, "weil auch die westlichen Truppen schlimme Verbrechen begangen haben". Die USA habe mit der Karzai-Regierung Kriegsherren und Fundamentalisten an die Macht gebracht, die - , wie die Taliban früher, -  weiterhin massiv gegen Frauen vorgingen. Wenn diese Fehler nicht korrigiert würden, sagt Zoya, wäre es besser, die fremden Truppen verließen das Land. Ja, auch auf die Gefahr hin, dass ein Bürgerkrieg entbrennt. Dann hätten die Frauen wenigstens eine feindliche Front weniger, an der sie kämpfen müssten. Außerdem sei es zuvorderst die Sache des afghanischen Volkes, für Frieden und Demokratie im eigenen Land zu sorgen. "Mit bloßen Händen gegen Waffen?", fragt ein Journalist ungläubig. "Ja", entgegnet Zoya. "Wir haben nichts zu verlieren. Ich glaube an die Kraft des afghanischen Volkes. Sie kann größer sein, als die einer Atombombe."

Etwa 2000 Frauen (nur Frauen können Mitglied werden) sind derzeit bei RAWA aktiv, dazu kommen noch weitere, die die Organisation unterstützen. Viele wurden in diesen Jahren ermordet, unter andern auch die Gründerin Meena.

Zoya weiß um die Gefahr, in der sie schwebt. Ihre eigene Geschichte? Sie senkt die Lider, ihr Gesicht wirkt plötzlich verschlossen, ihr Buch erwähnt sie nicht. Nur so viel: Sie hat ihre Eltern verloren, ihre ganze Familie. Als Siebenjährige kam sie mit ihrer Großmutter zu RAWA, ging später in eine der Schulen der Organisation. "Ich habe nichts zu verlieren", sagt sie.

Weiterführende Informationen:

Zoya: Mein Schicksal heißt Afghanistan, Eine Frau kämpft für die Freiheit. Mit John Follain u. Rita Cristofari
Verlag Lübbe
ISBN-13: 9783404614974
ISBN-10: 3404614976

"View from a grain of sand", eine Reise durch die letzten 30 Jahre der afghanischen Geschichte. Über einen Zeitraum von drei Jahren begleitet der Film drei Frauenschicksale (mehr dazu unter.

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