The Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA)
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RAWA, June 21, 2008

„Wir sterben an Hunger. Und durch die Präsenz der internationalen Truppen verschlechtert sich die Situation noch“

Interview mit Zoya (RAWA) von Heike Hänsel, Berlin

Zoya (1978 geb.) ist Mitglied von RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan), eine soziale und soziale Organisation, die sich seit 1977 friedlich für die Frauenrechte und säkulare Demokratie in Afghanistan einsetzt. Seit dem Erscheinen ihrer Lebensgeschichte „Zoya. Mein Schicksal heißt Afghanistan“ (2002) ist Zoya, die wie ihre Mitstreiterinnen im Untergrund lebt und ihren wirklichen Namen aus Sicherheitsgründen geheimhält, international bekannt. 2001 erhielt RAWA für ihr mutiges Engagement den ZDF-Mona-Lisa-Preis.

H.H.: Wie würden Sie die Situation von Frauen und RAWA in Afghanistan vor dem Einmarsch der internationalen Truppen in ihr Land 2001 beschreiben?

Zoya: Wir erinnern uns an die Zeit vor dem 11. September, als die internationale Gemeinschaft völlig blind und taub gegenüber der Tragödie in Afghanistan war, vor allem was die Taliban und das Leid der Frauen betraf. RAWA-Frauen nahmen ein großes Risiko auf, indem wir Menschenrechtsverletzungen dokumentierten, luden das Material auf unsere Webseite und boten es der internationalen Gemeinschaft an, um zu zeigen, wie dramatisch das Leiden der Bevölkerung ist. Der BBC und anderen Medien boten wir unsere Aufnahmen an und baten darum, uns dabei zu helfen, die Fälle von Steinigungen, Vergewaltigungen, Hinrichtungen und Abschneiden von Gliedmassen öffentlich zu machen und anzuprangern. Es gab viele solcher Verbrechen von Taliban, sie sind wilde Kreaturen, und wir baten inständig: Machen Sie Interviews mit den Frauen und geben sie ihnen eine Stimme in der internationalen Gemeinschaft. Aber die Medien haben dies abgelehnt und wollten nicht von dem Leid der Afghanen unter dem Taliban-Terrorismus sprechen.

H.H.: Was hat sich an der Situation seit 2001 geändert?

Zoya: Es war also erst nach dem 11. September, dass die internationale Gemeinschaft von einem langen Schlaf erwachte und begann, von Terrorismus zu reden. Doch für uns war es wirklich eine Realität, die seit 1992 bestand. Die Taliban nannten die Tore der Schulen die „Einfahrt zur Hölle”, Computer und Fernsehen wurden als Teufelswerkzeug verdammt und sie erhängten Menschen an Bäumen, sie schnitten Gliedmassen ab, richteten Leute hin, führten Steinigungen durch, setzten das Tragen der Burka durch usw. Ich weiss nicht, wie die Internationale Gemeinschaft dann 2001 so plötzlich, JETZT von Terrorismus Bescheid wusste, den Verletzungen der Frauenrechte, obwohl sie doch in den Jahren zuvor die Zustände entweder ignoriert oder im Falle der Taliban durch CIA und die amerikanische Außenpolitik erst kreiert und gestützt hatten. Wir können nicht vergessen, dass Bin Laden ein CIA-Boy war! Die USA begannen, Afghanistan mit den modernsten Waffen zu bombardieren, ein sehr müdes Land wie Afghanistan. Die Devise lautete: wer auch immer kommen mag, kommen Sie und machen Sie Schluß mit den Taliban, wir wollen sie ein für allemal loswerden. Aber jetzt nach 7 Jahren sehen wir, was mit dem Land geschehen ist. Milliarden Dollar flossen in das Land, um angeblich den Armen zu helfen, Bildung und Gesundheit zu verbessern, aber wir sehen keine Verbesserung. Im Gegenteil, die Situation wird von Tag zu Tag schlechter. Der Grund dafür ist, dass, wie die älteste politische Organisation RAWA von Anfang an, als noch unsere Gründerin Meena lebte, warnte, dass die ausländischen Länder stets die schlimmsten Feinde unterstützt haben, wie die Jihadi-Gruppen der Nordallianz während des Kalten Krieges. Sie warnte auch, dass diese Unterstützung der Fundamentalisten durch den Westen nicht nur für Afghanistan eine enorme Gefahr birgt, sondern für die ganze Welt, eingeschlossen die USA – die sich wie ein Virus immer mehr ausbreitet. Aber niemand hat auf uns gehört und nun wiederholen die westlichen Regierungen, Amerikas Alliierte, auch Deutschland, denselben Fehler. Heute ist die Nordallianz durch die Hilfe der westlichen Besatzungstruppen wieder erstarkt, der Westen macht Kompromisse und kollaboriert mit lokalen Warlords und Drogenbaronen.

H.H.: Können Sie konkrete Beispiele für die Situation der Bevölkerung nennen?

Zoya: Die Bevölkerung sieht, dass 43 Länder in Afghanistan militärisch präsent sind, tausende von Soldaten und Milliarden von Dollar, aber nach wie vor gibt es kein sauberes Trinkwasser, keine Elektrizität, und die Familien verkaufen auf den Strassen ihre Kinder, weil sie Hunger haben. Nur ein Kilometer vom Präsidentenpalast in Kabul entfernt sterben die Menschen an Hunger. Sie müssen nur Interviews mit Menschen im afghanischen Fernsehen ansehen. Ich hörte vor einer Woche einen Mann sagen: “Wir sterben an Hunger und alles ist so teuer, die Preise haben sich verdoppelt, bitte sagen Sie Präsident Karzai, dass er eine Bombe über uns abwerfen soll, weil wir dieses Leben nicht mehr wollen. Wenn sich nichts ändert, ist es besser, wir werden getötet.“ Gewiss ist dies nicht die Lösung, sondern die Aussage drückt die Wut dieses Mannes aus, aber er ist die Stimme der 99 % der afghanischen Bevölkerung aus, die arm ist und die gerade im Moment stark unter Hunger leidet. Vor einer Woche gingen die Lehrer Kabuls und anderer Provinzen in Hungerstreik, weil die Regierung ihnen für 2 Monate keine Gehälter ausgezahlt hatte. Ihr Einkommen liegt bei 60 EUR pro Monat, das ist nicht einmal genug, um einen Sack Mehl zu kaufen, der 70 EUR kostet! Wir sehen also, dass die Milliarden von Dollar nicht den Lehrern zugute kommen, oder der Bildung, öffentlicher Infrastruktur, oder der medizinischen Versorgung - also wohin fließt dieses Geld? Wir haben nicht einmal Elektrizität. Kabul wird auch die dunkelste Hauptstadt der Welt genannt, und es kursiert ein Witz unter den Einheimischen, dass der Energieminister eigentlich der Minister der Kerzen ist. Ein anderes, wichtiges Problem ist Opium. Letztes Jahr hat Afghanistan vor den Augen der Besatzungstruppen die größte Opiumernte eingefahren und produziert nun den Rekord von 93 % des Opiums weltweit. Und auch hier leiden Frauen am meisten, denn es gibt neuerdings ein neues Konzept, das „Opiumbräute“ heißt. Arme Bauern, die nicht in der Lage dazu sind, die Drogendealer zu bezahlen, müssen ihnen stattdessen ihre Töchter geben. Außerdem gibt es keine Sicherheit. Täglich werden Schulen und Wohnhäuser niedergebrannt. Vergewaltigung ist sehr, sehr üblich, aber die Familien sprechen nicht darüber, weil es für die Familien so eine Schande ist. Kleine Mädchen und alte Frauen werden vergewaltigt, eine Dreizehnjährige namens Bashira wurde sogar auf dem Nachhauseweg von der Schule von dem Sohn eines Abgeordneten und einem Freund vergewaltigt. Ich erinnere mich daran, wie sie im Fernsehen zu sehen war, weinend, sie schrie, dass niemand ihr helfen würde, weil ihre Familie arm sei. Für den Vergewaltiger gab es keinerlei strafrechtliche Konsequenzen, weil sein Vater Abgeordneter ist. Es herrscht das Gesetz des Dschungels. Und wir sollten hier nicht vergessen, dass Kabul nur ein kleiner Ausschnitt Afghanistans ist, sogar die USA gaben zu, dass Karzai nur 30 % des Landes unter seiner Kontrolle hat, in den Provinzen, in 70 % des Landes, aber herrschen die Kriegsherren, Taliban und Drogenbarone. Ich möchte betonen, dass diese Verbrechen vor den Augen der ausländischen Truppen geschehen. Leute, die behaupten, die Truppen seien gut, sollten erst die Fakten betrachten.

H.H.: Was sind ihrer Einschätzung nach die Hauptprobleme der afghanischen Frauen?

Zoya: Afghanische Frauen leiden unter zwei Hauptproblemen, das eine ist der Fundamentalismus und das andere die häusliche Gewalt durch die Ehemänner. Sie fühlen sich frei, alles zu tun, was sie wollen! Die Lage der Frauen hat sich überhaupt nicht verbessert. Als Symbol einer Verbesserung missbrauchen sie die Schulen, sie sagen, dass nun die Schultüren offen seien und es den Leuten besser ginge. Dass die Burka nicht mehr getragen werden muss. Aber auch die Burka ist nur ein Symbol, denn Frauen tragen sie, um Sicherheit, die es nicht gibt, für sich zu schaffen. Im Westen hieß es immer, die Burka sei das Problem, aber ich sage, nein, die Burka ist nicht das Problem, die Gewalt ist das Problem. Ja, die Schulen sind da, aber die Eltern schicken ihre Kinder nicht hin, weil sie Angst vor Entführung und Kidnapping auf dem Weg dorthin haben. Ich spreche nicht von Kabul, sondern von den ländlichen Provinzen.

H.H.: Wie stehen Sie zum Thema Truppenabzug?

Zoya: Wir glauben, dass Amerika nicht ehrlich ist, sondern ein Drama, eine Art “Tom and Jerry-Drama”, fortsetzen will, zwischen den Taliban und Amerika. Unsere Leute kennen jetzt die versteckten Gründe für diesen Krieg, in dem es zuerst um die eigenen, amerikanischen und politischen Interessen Amerikas geht und nicht um die Befreiung der Bevölkerung. Es handelt such also hier um ein Drama, mit dem Sinn und Zweck, dass die Amerikaner in Afghanistan bleiben wollen und dafür einen Vorwand wollen. Und der sind die Taliban, die sie also nicht wirklich besiegen wollen. Sonst würde es nur einen halben Tag dauern, bis sie die Taliban zerstören, aber sie sind eben nicht ehrlich. Deshalb setzen sie dieses Drama fort. Tausende Menschen starben durch die Kälte, und ich kann nicht teilen, dass dies eine Naturkatastrophe gewesen sei. Nein, ein Land, das mehr als 20 Milliarden an internationaler Hilfe bekommt – wieso sollten die Menschen dann so im Winter sterben? Für Elektrizität, Wiederaufbau und Wasser kommt nichts an. Die internationalen Truppen machen nur Kompromisse mit unseren Feinden und daher sagen wir: „Es ist besser, Ihr verschwindet. Einige Leute behaupten, dann würde ein neuer Bürgerkrieg ausbrechen. Okay, es ist egal, lasst uns in Ruhe mit unseren Feinden. Es ist unsere Verantwortung, aufzuwachen und uns selbst zu befreien. Wenn der Westen nur kurz geblieben wäre, die Taliban und Nordallianz entwaffnet und die demokratischen Kräfte gestärkt hätte, in Ordnung.“ Aber sie bringen die Verbrecher nicht vor das Internationale Kriegsverbrechertribunal und haben die gesamten 7 Jahre nichts Gutes erreicht, sie haben die Situation verschlimmert. Wir sagen ihnen einfach: „Okay, Danke, verlasst Afghanistan. Ihr unterstützt uns nicht ehrlich, also geht.“

H.H.: Meine letzte Frage ist: was erwarten Sie konkret von Ihrem Besuch in Deutschland?

Zoya: Wir möchten uns zunächst ganz herzlich bei der Linksfraktion im Bundestag für die Gelegenheit bedanken, hier von dem Leiden unserer Bevölkerung zu sprechen. Wir sind wirklich dankbar dafür, dass in einer schwierigen und sensiblen politischen Situation die Linke diesen Schritt gewagt hat. Wir hoffen, dass es in Zukunft mehr Einladungen geben wird und wir öfter nach Deutschland reisen können, denn leider ist es seit 2001 – das sind 7 Jahre! – nicht mehr dazu gekommen. Damals hatten wir Beziehungen zu den Grünen und erhielten den Mona-Lisa-Preis vom ZDF, über den wir uns sehr gefreut haben. Aber als wir uns dann für den Truppenabzug ausgesprochen haben, wurden wir nicht mehr eingeladen. Wir leben von Spenden und brauchen die internationalen Reisen für Fundraising, aber momentan ist unsere finanzielle Situation wirklich schlecht. Wir fordern die deutsche Regierung und die deutschen Parteien dazu auf, nicht mehr blind der US-Politik zu folgen, sondern demokratische Kräfte, wie RAWA, Malalai Joya und andere Individuen im Land zu unterstützen. Heutzutage herrscht Verwirrung über die verschiedenen Kräfte im Land, die ausländischen Truppen und verschiedene einheimische Fundamentalisten, Nordallianz, Warlords und Taliban. Verlassen Sie Afghanistan. Falls Bürgerkrieg ausbrechen sollte: Okay. Bürgerkrieg herrscht schon jetzt und herrscht seit 30 Jahren, dann sollten wir auch den nächsten Bürgerkrieg durchstehen. Aber kein fremdes Land kann einem anderen Land Freiheit spenden, erst recht nicht mit B 52 Helikoptern und Flugzeugen, Befreiung ist etwas, das wir selbst erreichen müssen.

H.H.: Herzlichen Dank!

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