The Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA)
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Das Vermächtnis einer afghanischen Freiheitskämpferin

In Erinnerung an Meena Keshwar Kamal, Aktivistin, Dichterin, Feministin und Gründerin der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan

Armeghan Taheri

Ausdrucksstarkes Gesicht von Meena Keshwar Kamal beim Sprechen
Ausdrucksstarkes Gesicht von Meena Keshwar Kamal beim Sprechen

Bestimmte Arten der Unterdrückung zielen darauf ab, feministischen Widerstand systematisch auszuhungern, zu zensieren und schließlich durch die Auslöschung von sprachlichen Ausdrucksmitteln als Gedanken zu vernichten. Politischer Widerstand von innen kann jedoch auch unter extremer Repression nicht ersticken. In einer solchen Realität werden mündliche Überlieferungen von Generation zu Generation weitergegeben, wie verbotene Sprachen, die im Untergrund gedeihen, Worte, die geflüstert werden, um unsere moralische Vorstellungskraft von Befreiung zu schärfen, eine Rebellion gegen die herrschende Gewalt - ein ganzes Universum, beschrieben mit unsichtbarer Tinte. Auf diese Weise ist die Märtyrerin Meena zu einer messianischen Figur des feministischen Aktivismus in Afghanistan geworden. Sie erinnert uns daran, dass der Freiheitskampf des afghanischen Volkes nicht ohne die komplexe Verbindung zwischen feministischer und politischer Widerstandsbewegung bestehen kann.

Meena Keshwar Kamal («Meena») war eine revolutionäre politische Aktivistin, Dichterin, Feministin und Gründerin der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA). Sie wurde am 27. Februar 1957 in Kabul geboren. Das Leben in einer paschtunischen Mittelklasse-Elite im urbanen Kabul bot Meena zunächst Schutz und gesellschaftliche Bildungsmöglichkeiten, die vielen anderen afghanischen Frauen verwehrt blieben. Nach Angaben der Weltbank lag die Alphabetisierungsrate von Frauen ab 15 Jahren im Jahr 1979 bei 5 %. Besonders diejenigen, die nicht in urbanen Zentren lebten hatten wenig Chancen auf Bildung. Als Berater der königlichen Familie war Meena’s Großvater eng mit den Königen Nadir und Zahir Shah verbündet. Meena war sich der relativen Privilegien bewusst, die sie im Vergleich zu anderen Frauen in ihrem Land erfuhr. Aus tiefer Abneigung gegen die verwurzelte Klassenungleichheit und um ihre politische Arbeit nicht zu diskreditieren, lehnte sie jede Verbindung zur Monarchie ab. Des Weiteren, unterstütze sie ihr Vater in ihrem politischen Vorhaben – zu einer Zeit in der Frauen von ihren männlichen Verwandten abhängig waren, war dies ein wichtiger Vorteil. Es sind diese gesellschaftlich spezifischen Verhältnisse, die Meena in ihrem Widerstandsvermögen positionieren – sie aber bei weitem nicht genug schützen konnten.

Meena kam 1976 als Jurastudentin an die Universität Kabul, wo sie Teil einer lebendigen linken Protest- und Aktivist*innengemeinschaft wurde. Doch obwohl die Linke im Vergleich zu anderen politischen Orientierungen Afghanistans einen höheren Frauenanteil aufwies, war der Frauenkampf marginal. Ähnlich wie viele ihrer internationalen Genossinnen, ließ sie sich auf patriarchale Organisationsstrukturen ein, in denen Klassenkämpfe einen selbstverständlichen Platz hatten. Feminismus war als ideologische Zielsetzung instrumentell und nicht tatsächlich auf ein systematisches Verständnis ausgerichtet. In diesem Sinne spiegelte dies eine Auseinandersetzung wieder, mit der viele politisch aktive Feministinnen in internationalen Befreiungsbewegungen konfrontiert waren - als gleichberechtigter Teil des Widerstands, war es unerlässlich, neue Organisationsformen zu finden. Innovation war notwendig, um den Zugang zur politischen Teilhabe zu eröffnen.

Um den Feminismus nicht zum zweitrangigen, sondern zum untrennbaren Bestandteil des Klassenkampfes zu machen, gründete Meena mit fünf anderen Kommiliton*innen die Organisation RAWA. 1977 wurde RAWA die erste unabhängig organisierte Bewegung für Frauenrechte in Afghanistan. Meena war damals erst 20 Jahre alt. RAWA’s Ziel war die Förderung und Gleichberechtigung der afghanischen Frauen. Auf dieses Weise, konnte RAWA Frauen politisch organisieren und Waffen in Form von Stift und Papier an die Hand geben. Ihre Alphabetisierung ermöglichte die Entstehung oppositionellen Handelns, sie war ein Motor der Veränderung, um Hindernisse für andere Formen der Überschneidung von Ungleichheit und Gewalt zu beseitigen.

Die politische Mobilisierung durch die Bildung der Frauen ist einer der Hauptgründe wieso Meena heute fast einen messianischen Status erreicht hat. Aber für eine Darstellung, die das Vermächtnis einer außergewöhnlichen Kämpferin ehrt, ist es wichtig, unsere Projektionen von idealisierten Podesten zu befreien. Trotz der Wahrscheinlichkeit, dass wir die Vergangenheit romantisieren, besonders wenn die Gegenwart dunkel ist, zieht sich Meenas Erinnerung wie ein Licht durch Erzählungen. Sie wird erinnert als selbstlose und volksnahe Frau, die praxisnahe Arbeit stark in ihre politische Arbeit miteinbezieht. Ihr Ansatz, spiegelt sich in RAWAs Arbeit heute weiter. Die Organisation beginnt feministische Arbeit mit dem Sozialen. Die Frauen die heute noch im Untergrund in Pakistan mobile Gesundheitsteams oder Notfalllebensmittel, Kleidung und Wasser bereitstellen, sprechen davon, dass sie in erster Linie eine Verbindung zu den Menschen aufbauen, Vertrauen, und einen Platz in ihren Herzen.

Damit hat Meena unser Verständnis darüber geformt, was es bedeutet, an der Front einer Bewegung zu stehen. Revolution und der Gedanke einer klassenlosen Gesellschaft, bedeutet in der Praxis, sich unweigerlich den Menschen, denen die Revolution dienen soll unterzuordnen– ein Akt der Demut. Im Gegensatz zu vielen männlichen linken Genossen, bei denen nicht selten ein gewisser Grad von Grandiosität mit politischen Aktivismus einhergeht, hat Meena unsere Auffassung von der Verantwortung einer feministischen politischen Führung verändert. Unabhängig davon, ob ihr Andenken beschönigt wurde, hat ihr erzählerisches Vermächtnis eine zentrale Rolle im Leben vieler Menschen gespielt. Es erweckt den Eindruck dass Meena wirklich geliebt und respektiert wurde, weil ihr Glaube an eine kollektive Befreiung über ihrem eigenen Leben stand.

Ab 1981 gab Meena die zweisprachige feministische Zeitschrift Payam-e-Zan (Botschaft der Frauen) heraus. Die vierteljährige Publikation enthielt eine Reihe von Inhalten auf unterschiedlichen Bildungsniveaus. Sie dokumentierte die gesellschaftliche und politische Situation afghanischer Frauen sowie die politische Position von RAWA. Im Mittelpunkt stand die Geschichte des Kampfes der afghanischen Frauen um soziale Anerkennung und Gleichberechtigung in Verbindung mit der Geschichte der physischen und kulturellen Zerstörung des Landes durch verschiedene Invasionen und Kriege. Ein radikal transformativer Ansatz, der die Ursachen von Gewalt miteinander verbindet. Eine Abkehr von sozial destruktiven Diskursen, die das Gefüge von Gemeinschaften weiter aufzulösen drohen. Stattdessen reflektiert es einen Ansatz, der sich mit den Wurzeln von Gewalt und Ungleichheit befasst, um sie zu beseitigen. In diesem Sinne hat Meena das getan, was externe Akteure und ihr Einfluss niemals erreichen würden: Sie hat ihre Arbeit auf eine Art und Weise getan, die von einem Ort der Fürsorge und einer grundlegenden menschlichen Anerkennung der Würde ausging.

Fernab von Europa und Nordamerika, ist die Geschichte des feministischen Kampfes geprägt von Selbsterhaltung und Revolution, die die Gleichzeitigkeit von Unterdrückungsverhältnissen als grundlegend voraussetzen. Meenas Arbeit adressiert die Erfahrung sozialer und politischer Marginalisierung, die in der komplexen Geschichte von Imperialismus, Kolonialismus, Kapitalismus, Klasse und Geschlecht begründet ist. Für Meena, war es damals der Kampf gegen den Fundamentalismus und gegen das regierende «russische Marionettenregime». Demnach mangelte es nicht an Feinden, als Meena am 4. Februar 1987 in Quetta, Pakistan, ermordet wurde. Die Berichte über ihren Tod variieren. Manche sagen, es war der afghanische Geheimdienst KHAD andere vermuten hinter den Tätern die Mudschaheddin. Die Unklarheit zeigt auf, dass Meenas Existenz und feministisches Engagement viele Akteure bedrohten, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden politischen Kontrolle und Angst vor Meenas Einflussnahme durch politische Mobilisierung und Bildung hatten.

Obwohl Meenas Grundlagenarbeit programmatischer Natur war, indem sie Voraussetzungen schuf, unter denen ein Wandel stattfinden kann, ist ihr Vermächtnis dynamisch. Jahre später geht es bei ihrer feministischen Vision nicht um Utopien, sondern um eine längerfristige Bewusstseinsveränderung. In dieser Hinsicht, sind afghanische Frauen nicht in Zeit, Raum und Geschichte eingefroren.

Nach Meenas Ermordnung setzte die Organisation RAWA ihre Arbeit fort und ist auch heute noch sehr aktiv. Jahrelang hatte RAWA sich gegen die US-Besetzung ausgesprochen und gewarnt, dass unter der von den USA unterstützten Regierung, Menschenrechte, Demokratie und Säkularismus systematisch unterdrückt werden und gleichzeitig Raum für die Verbreitung des religiösen Faschismus entsteht. Unter falschen politischen Vorwänden wurden Bedingungen geschaffen, unter denen extremistisches Gedankengut und Organisationen gedeihen konnten. Nun ist die Heimkehr der Taliban ein logisches Kontinuum der imperialistischen Regierungsform. Entsprechend zeigt die gegenwärtige Situation, dass Meenas Kämpfe auch Jahre nach ihrem Tod in symbolischer und materieller bedeutsam sind.

Meena und ihr Vermächtnis der feministischen Befreiungsbewegung sind untrennbar verbunden mit einer weitreichenden Politik der Befreiung des afghanischen Volkes. Sie vertrat einen feministischen Ansatz, der sich nicht von den reellen Auseinandersetzungen Afghanistans mit Invasionen und Kriegen trennen lässt. Deswegen arbeitete sie an einem Weg, das Land durch Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und politischer Teilhabe zu verändern. Ihre größte Einflussnahme bestand darin, Frauen mit politischer Bildung auszurüsten, die den Nährboden für eine radikale Vision von Gleichberechtigung und kollektiver Freiheit bereite. Obwohl die afghanische Frauenrechtsbewegung nicht monolithisch ist, tragen Frauen mit unterschiedlicher Geschichte sowie ethnischer und sozialer Herkunft den Kampf heute noch fort. Ein Zeichen dafür, dass die Waffen der Sprache und der Bildung sich in Afghanistan in Widerstandsgedanken verwandeln, die keine noch so grausame Repression amputieren kann.

Armeghan Taheri ist Autorin, Künstlerin und Gründerin von «What's Afghan Punk Rock, anyway?», einem Community-Magazin in Berlin.



Category: Deutsch, German Media