Die Welt, 16. Dezember 2001


Die Frauen starten ihren eigenen Feldzug

Die Organisation Rawa kämpft für Menschenwürde und Bildung. Ihr Hoffnungsträger ist der frühere König Zahir Shah

Von Petra Ramsauer


Wien - Für Shala besteht noch kein wirklicher Grund zum Feiern. "Wir verstehen nicht, warum Amerika die Nordallianz scheinbar bedingungslos unterstützt", betonte die afghanische Frauenaktivistin anlässlich ihres Europabesuches in Wien. Die schonungslose Taliban-Diktatur versteht Shala als jüngstes und schlimmstes von vielen Kapiteln brutaler Unterdrückung von Frauen- und Menschenrechten in ihrem Land. Ob das Ende der Taliban auch das Ende der Gewalt bedeutet, müsse sich aber erst zeigen.

Die Lebensgeschichte der 27-jährigen Frau erklärt ihre Skepsis. Bereits 1986 musste Shala, damals als Elfjährige, mit ihrer Mutter und den drei Schwestern aus Kabul flüchten. Das war lange, bevor die Taliban-Miliz entstand, ein ganzes Jahrzehnt vor deren Machtübernahme. Gewalt und Unterdrückung von Frauen waren aber schon zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan gang und gäbe. "Damals starb unser Vater", erzählt Shala: "Eine Familie ohne Mann war ein Nichts, völlig schutzlos, auf Almosen angewiesen. Wir hatten keine andere Chance, als zu gehen. Viele Details der Geschichte meines Landes würden heute manche gerne vergessen. Aber wir afghanischen Frauen erinnern uns noch sehr genau: Auch an die Massaker, die Vergewaltigungen von Frauen, die unter jenen Kommandanten in den Neunzigern begangen wurden, die jetzt als Verbündete des Westens gegen die Taliban gehandelt werden." Shala hat dieser systematischen Unterdrückung von afghanischen Frauen den Krieg erklärt. Ihre Verbündete sind in erster Linie andere afghanische Frauen, die sich zur Organisation Rawa zusammengeschlossen haben. Das Kürzel steht für die englische Übersetzung von "revolutionäre Vereinigung afghanischer Frauen". Revolution bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem eines: die Rechte der Frauen auf Bildung, auf menschenwürdige Behandlung sicherzustellen. Seit 1978 agiert die Gruppe, die auf 2000 Aktivistinnen und mehrere Tausend Sympathisantinnen zählen kann. Nach der Machtübernahme der Taliban organisierte Rawa im Geheimen streng verbotene Schulstunden für Frauen in Privathäusern. Daneben versuchten Aktivistinnen, die Frauen politisch zu sensibilisieren. Dahinter steckt eine banale Ausbildung: das Wissen zu festigen, dass eine Frau ein vollwertiger Mensch ist und auch solche Rechte hat. Denn nach Jahrzehnten islamistischer Indoktrinierung scheint es, als glaubten die Frauen es mehrheitlich nicht einmal selbst.

Unter den Taliban wurden die Publikationen der Organisation - eine heimlich hergestellte und vertriebene Zeitschrift und das Internet - zur wichtigsten Informationsquelle über die Gräuel des Regimes. Der Einsatz der mutigen Frauen bedeutete und bedeutet Lebensgefahr. Drohungen, Schläge und Verhaftungen von Rawa-Aktivistinnen waren und sind an der Tagesordnung. "Sie dürfen auf keinen Fall ein Foto von mir machen, auf dem ich zu erkennen bin", betont Shala auch während des Gesprächs: "Ich darf auch nicht meinen richtigen Namen nennen." Ihr Pseudonym ändere sie genauso oft wie ihre Mobiltelefonnummer: einmal im Monat.

Shala kam mit der Frauenorganisation im Flüchtlingslager in der pakistanischen Grenzstadt Quetta in Kontakt. Dort leben mehrheitlich Paschtunen. Rawa betreibt regelrechte Schulen, wo Shala wie Tausende andere Mädchen und Frauen lesen und schreiben sowie passabel Englisch lernen konnte. Doch es war auch in Quetta, wo die Gründerin der Organisation, genannt Meena, 1987 kaltblütig auf offener Straße erschossen worden ist. "Meine Angst hat sehr guten Grund. Wir haben überall Feinde, auch noch immer in Quetta, wo ich lebe", betont Shala: "Mein Mann ist dafür, dass ich keine Burka (den das Gesicht völlig verhüllenden Schleier paschtunischer Tradition, die Red.) trage. Doch ich wage nicht, offen zu meiner Freiheit zu stehen."

Dafür ist Shala hörbar, wenn auch wesentlich besonnener und zurückhaltender, als man es von einer Revolutionärin erwarten würde. Ihr braunes Haar trägt sie schulterlang, sie ist modisch in blauem Wollpulli mit V-Ausschnitt und cremefarbener Hose gekleidet. In Europa möchte sie in erster Linie für Spenden, werben, damit Rawa ein neues Krankenhaus neben afghanischen Flüchtlingslagern aufbauen kann. Und Shala möchte klarstellen, dass Afghanistan vor allem Hilfe brauche, um zu einer Demokratie zu finden, in der Frauen und Männer gleichberechtigt leben können. Einziger Hoffnungsträger dafür sei der im italienischen Exil lebende, frühere afghanische König Zahir Shah. Denn Rawa habe eine seiner Enkelinnen dazu bewegen können der Organisation beizutreten.

Für die Brutalität der gegenwärtigen Verhältnisse kann Shala unzählige Beispiele nennen. "Vor einem Jahr war meine Mutter zu Besuch am Markt in Kabul. Ihr wurde schlecht, und sie hat die Burka hochgenommen, um ein wenig Luft zu schnappen. Dabei hat sie von hinten ein Religionspolizist beobachtet. Sofort griff er zum Schlagstock und prügelte auf meine kranke Mutter ein." Dabei sind solche Szenen nur Mosaikstücke unverstellbarer Unterdrückung in den vergangenen Jahren, die Frauen angetan worden ist. Fenster mussten angestrichen werden, damit niemand einen Blick auf ein weibliches Gesicht erhascht. Besuche bei Ärzten waren nur unter großen Schwierigkeiten möglich, Ärztinnen hatten wie alle Frauen Berufsverbot. Außer Haus gehen durften sie nur in Begleitung eines Verwandten. Schritte einer Frau durften keinen Lärm verursachen; ihr Blick hatte am Boden zu haften.

Allerdings betont Shala, dass auch während der Mudschahedin-Regierung vor der Taliban-Diktatur Frauen keine Sekunde sicher gewesen seien. Damals seien Studentinnen in Hörsälen vergewaltigt worden, bis sich keine Frau mehr in die Hochschulen getraut habe. "Was uns jetzt bleibt, ist die Hoffnung, dass sich auch, wenn die Kommandanten dieser Mudschahedin die Gleichen geblieben sind, sich doch ihre Methoden ändern." Rawa jedenfalls will den neuen Machthabern in Afghanistan genauestens auf die Finger schauen.





From: http://www.welt.de/daten/2001/11/27/1127au298474.htx?








[Home] [RAWA in den Medien]